Im Kreis der Kritiker

Roland Spohn, Öl auf Leinwand, 60 x 80 cm, 2007-08

Kontakt zum Erwerb von Nutzungsrechten oder Originalbild

zurück zur Seite "Beispielbilder Dr. Roland Spohn"

Im Kreis der Kritiker

„Einen Künstler zu fragen, was er von Kritikern hält, ist wie einen Laternenpfahl zu fragen, was er von Hunden hält.“ (frei nach John Osborne)

Der Kritik sagt man oft mehrere Eigenschaften nach: Mit ihr ziele man auf eine Sache oder mehr noch auf eine Person ab, als Kritiker übe man harte, spitze oder gar scharfe Kritik, und im Gegensatz dazu stünde man als Betroffener oft im Kreuzfeuer der Kritik der anderen.
Mein Bild verkörpert mit seinen Bogen- und Armbrustschützen als Symbolträger alle diese Eigenschaften.
Zählen sie nach – es sind genau 12 Schützen, die angetreten sind. Dies bedeutet, dass Kritik rund um die Uhr und über das ganze Jahr verteilt geübt wird. Wir sind stets von Kritik umgeben, kritisieren selbst oder empfangen Kritik.
Beginnen wir mit den beiden obersten Schützen: Der Armbrustschütze - er steht exakt auf der senkrechten Mittellinie des Bildes. Sie werden bemerken, egal welchen Standpunkt Sie als Betrachter zum Bild auch einnehmen werden,
egal wie ihre Meinung zum Bild auch sein wird – er zielt stets auf Sie. Sein Pfeil wird Sie immer treffen! Sie als Betrachter werden zum Ziel seiner Kritik!
Genauso hält es der Schütze rechts neben ihm: Auch er zielt auf Sie als Bildbetrachter. Er schießt seinen Pfeil gut geschützt und verborgen hinter einer schutzschildförmigen Farbpalette ab. Er verkörpert den Maler, der mit spitzer Feder, Pinsel und Farben Kritik an der Welt und vielleicht auch an Ihnen übt. Er macht mit seinen Werken auf die Missstände dieser Welt aufmerksam, denn dies ist eine seiner Aufgaben als Künstler.
Die drei Schützen unten im Gemälde visieren nun ihrerseits die Bildwerke des Malers an, als seien diese auf ihren Staffeleien wie die Zielscheiben in einem Turnier aufgestellt, in dem es gilt, so genau wie möglich zu treffen. Nun wird der Maler selbst zum Mittelpunkt der Kritik, er steht nun mit seinen Visionen in der öffentlichen Kritik der Betrachter. Verteilen Sie sich als Gruppe um das Bild herum, Sie werden stets hinter diesen drei Schützen stehen und üben somit Kritik am Künstler und seinem Werk.
Die sieben seitlich angeordneten Bogenschützen zielen gegenseitig aufeinander, sie bilden jenes Kreuzfeuer der Kritik, das ich vorhin angedeutet habe. Hier steht Meinung gegen Meinung, Ansicht gegen Ansicht oder Weltbild gegen Weltbild. Alle Typen von Mensch sind vertreten: Frauen und Männer, Weiße und Farbige, Junge und Alte, Große und Kleine, moderne Zivilisationsmenschen und beinahe ausgerottete Naturvölker. Jeder übt Kritik an jedem und jeder gibt Anlass zur Kritik für den anderen.
Kritik galt und gilt zu jeder Zeit als Wegbegleiter der Menschheit, sie gehört zu unseren grundlegenden Eigenschaften, ohne sie hätte es eine Entwicklung der Menschheit nie gegeben, ohne sie gäbe es keine Aussicht auf eine andere, vielleicht sogar bessere Welt! Die Kritik ist der Motor der Menschheit. Sie vernichtet, aber sie richtet auch auf.

Mein Bild trägt den Titel „Im Kreis der Kritiker“. Wenn Sie nun das Gemälde noch genauer betrachten, wird Ihnen vielleicht auffallen, dass die Pfeilspitzen aller Schützen auf einer exakten Ellipse liegen. Doch stopp! Der Kreis der Kritiker, deren Pfeilspitzen eine Ellipse bilden – da stimmt doch etwas nicht! Aber nur oberflächlich besteht hier ein Widerspruch!
Wann geht eine Ellipse in einen Kreis über? Dann, wenn man die Ellipse aus der senkrechten Ebene in den Raum nach hinten kippt und sich so durch die perspektivische Verkürzung ein Kreis ergibt. Nur nebenbei bemerkt: Jeder Maler kann so überprüfen, ob er eine exakte Ellipse gezeichnet hat. Kippt er dazu sein Papier in den Raum, visiert mit einem Auge und es ergibt sich dabei irgendwann einmal ein Kreis, dann hat er die Ellipse richtig gemalt!
Wenn Sie nun das Bild langsam neigen, werden Sie bemerken, dass der vorderste Schütze mit dem blauen Eisenhut direkt den Armbrustschützen anvisiert und umgekehrt. Während beide bei der gewohnten senkrechten Betrachtungsweise des Bildes weit aneinander vorbei schießen. Der Armbrustschütze ist über dem Bogenschützen angeordnet, der Schuss, die Kritik beider kann so den anderen nicht treffen.
Dies soll zeigen, dass Kritik stets eine Sache der eigenen Perspektive, des eigenen Standpunktes und des eigenen Betrachtens ist. Kritik wird nur aus dieser eigenen Sicht, aus diesem einen eingeschränkten Blickwinkel heraus geübt. Ändert man seine Perspektive, seinen Standpunkt, zerfällt vielleicht der Kritikpunkt, der Stein des Anstoßes rollt vielleicht weg oder wird gar gegenstandslos. Andererseits kann Kritik auch nur aus einem eingeschränkten Blickwinkel heraus fruchtbar sein und verpufft, wenn dieser Winkel nicht mehr gegeben ist.

Mein Bild hebt vielleicht die negative, die zerstörerische Seite des Kritisierens zu stark hervor. Darum liegt es nun an Ihnen, in meinem Bild nach der konstruktiven und lebenserhaltenden Kritik zu suchen, um das dargestellte Wesen der Kritik wieder ins Lot zu rücken. Mit ein wenig biologischem Hintergrundwissen, wird Ihnen dies sofort gelingen, da bin ich mir ziemlich sicher. Denn, nur wer fundiertes Wissen besitzt, der kann auch konstruktive Kritik üben, die nicht zerstört, sondern zu neuen Ufern führt.