Lausige Veredelung

Roland Spohn, Carmin Naccarat, Karminsäure, Karminrot-Kalligraphie-Tinte,
verschiedene Nagellacke, Campari, Ascorbinsäure und Tusche,
70 x 100 cm, 2006-08

Kontakt zum Erwerb von Nutzungsrechten oder Originalbild

zurück zur Seite "Beispielbilder Dr. Roland Spohn"

Lausige Veredelung

Ihre rote und bittere Körperflüssigkeit setzt die Amerikanische Cochenille-Schildlaus (Dactylopius coccus) als Abwehr gegen räuberische Ameisen und andere Fraßfeinde ein.
Der daraus gewonnene Farbstoff Karminsäure wird als E 120 in der Liste der Lebensmittel-Zusatzstoffe geführt und ist neben Sepia der einzige zugelassene tierische Farbstoff,
mit dem Lebensmittel gefärbt sein dürfen. Das wohl bekannteste Produkt ist Campari. Kinder hingegen haben ihren Spaß, wenn sie mit diesem Naturpigment ihre Ostereier färben
oder damit gefärbte Gummibärchen naschen.

Die Hauptrolle heute spielt der „lausige“ Farbstoff jedoch in der Kosmetik und würde manche „Dame von Welt“ um die wahre Herkunft ihrer dominanten Lippenstift-Farbe wissen,
würde sie bestimmt angeekelt anderweitig „Farbe bekennen“!

Vor rund 500 Jahren, nach der Eroberung Mexikos im Jahre 1522 durch Cortez, war Cochenille nach Gold und Silber das am meisten und wertvollste gehandelte Produkt Spanisch Westindiens. Die daraus gewonnenen intensiven Rottöne sollten hochwertige Tücher und Stoffe ranghoher Würdenträger aus Staat und Kirche zieren.
Nicht ganz so geschmackvoll und salonfähig scheint dazu zu passen, dass bei Ausgrabungen in Tenochtitlán der Hauptstadt der Azteken eine große Anzahl an Nachttöpfen zu Tage kam,
die die Archäologen zunächst verwunderte. Erst als sie sich näher mit der Farbstoff-Herstellung beschäftigten wurde klar, dass menschlicher Urin in präkolumbianischer Zeit
ein weit verbreitetes Fixiermittel für Farbpigmente war.

In Europa war Cochenille bis zum Aufkommen der künstlich hergestellten Farbstoffe im 19. Jhd. neben der Krappwurzel (Rubia tinctorum)
und der Kermes-Schildlaus (Kermes vermilio) der wichtigste Farbstoff für eine intensive Rotfärbung von Stoffen.
So fanden sich Kulturen nicht nur in Peru, sondern auch in Mexiko, Honduras, Guatemala, Argentinien und China.
Europa importierte jedoch nicht nur getrocknete Läuse. Spanier und Portugiesen brachten auch Feigenkakteen und die lebenden Läuse auf die Kanaren und nach Madeira
und schufen dort einen neuen Wirtschaftszweig. Heute exportieren hauptsächlich Peru, Mexiko und die Kanarischen Inseln die getrockneten Läuse.

Künstler-Biologen schätzen Karminsäure noch heute besonders als leuchtendes, jedoch leider nicht besonders lichtechtes Malerpigment Karminrot
(die beste Qualität hat „Carmin Naccarat“) und bei Kontrastfärbungen in der Lichtmikroskopie.
In der Homöopathie ist Cochenille unter der Bezeichnung „Coccus cacti“ gegen Erkrankungen der Atem- und Harnwege im Einsatz.

Die Cochenille-Schildlaus lebt ausschließlich auf Feigen-Kakteen (Opuntien), wie etwa der Opuntia cochenillifera.
Sie durchläuft auch ihren gesamten Lebenszyklus auf den Wirts-Kakteen und ernährt sich von deren farblosem Zellsaft. Ein Zyklus dauert in der Regel 2 – 4 Monate, so dass sich pro Jahr 3-5 Generationen entwickeln können.
Um die große und anhaltende Nachfrage an begehrtem Cochenille befriedigen zu können – für 50 Gramm reinen Farbstoff müssen immerhin 140000 Insekten ihr Leben lassen –
legte man schon vor Jahrhunderten in Südamerika ausgedehnte Kakteen-Pflanzungen, so genannte Nopalerien, an (der Name stammt von der Nopalpflanze: Nopalea cochenillifera = Opuntia cochenillifera). Diese Opuntien tragen keine Dornen, was die Ernte vereinfacht. Die Läuse selbst scheiden aus besonderen Wachsdrüsen eine „Wachswolle“ aus, die sie vor Wind und Wetter und tierischen Feinden geschützt.
Etwa 18 Monate, nachdem eine Nopal-Pflanzung angelegt wurde, bringt man erstmals Läuse auf die Kakteen aus.
Kurz vor der Eiablage pinselt man die trächtigen Weibchen (die je mehrere tausend farbstoffreiche Eier legen können)
bis auf wenige mit weichen und harten Pinseln von den Pflanzen ab oder wedelt sie – wie auf den Kanaren gebräuchlich – mit Palm-Blattwedeln ab. Nopal-Pflanzungen können bis zu 400 kg getrocknete Läuse pro Hektar liefern, was einer Menge von 20 kg reinem Farbstoff entspricht. In Peru können pro Jahr meist 3 Ernten eingesammelt werden, wobei die Letzte eine schlechtere Cochenille-Qualität liefert, da sich die Läuse nicht mehr vollständig entwickeln konnten.

Carmin Naccarat: Karminlack, erhältlich durch Fällung eines heißen, wässrigen Auszugs von Cochenille mit eisenfreiem Kalium-Aluminium-Sulfat (Alaun).
Karminsäure: Farbstoff der Cochenille-Schildlaus, ändert seine Farbe durch Zugabe z. B. von Ascorbinsäure (=Vitamin C) zu einem anderen Rotton.